2017: Barbara Naumann: “Das unvollständige Ganze. Die unendliche Rede in Marcel Prousts ‘Recherche'” / “The Incomplete Whole: The Never-Ending Speech in Marcel Proust’s ‘Research'”

Barbara Naumann, “Das unvollständige Ganze. Die unendliche Rede in Marcel Prousts ‘Recherche'” / “The Incomplete Whole: The Never-Ending Speech in Marcel Proust’s ‘Research'”
Thursday, 23 November 2017, 19:00 CET
Senatssaal of Humboldt University
Unter den Linden 6
10117 Berlin
GERMANY

With Lothar Müller

Sponsored by:

The Mosse Foundation
Institut für deutsche Literatur
Humboldt University
Mosse Lectures

Mosse Lectures winter 2017-18 Humboldt University

 

Description: Prousts großes Romanwerk “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” (À la recherche du temps perdu) steht unter dem Vorzeichen eines Widerstreits: dem Antagonismus zwischen dem Willen zur geschlossenen Form und der Tendenz zur grenzenlosen Plauderei, zum endlosen Geschwätz. Dieser Widerstreit lässt sich bereits an der Werkgenese beobachten: Proust schrieb den Anfang und den Schluss des Romans zuerst. Er setzte mit der “wiedergefundenen Zeit” einen meta-physischen Rahmen, um dann die Erfahrung machen zu müssen, dass sein Werk aus der Mitte heraus zu einem endlosen Quell des Schreibens mutierte. Das Ausufern der Erzählung lässt sich in den ins Manuskript eingeklebten “Paperoles” bereits auf materieller Ebene nachvollziehen. Die von Proust intendierte metaphysische Rettung verlorener und vertaner Zeit im Romankunstwerk erweiterte sich im Prozess des Schreibens zu einem Unternehmen, dem nichts zu unwichtig, zu entlegen, zu ephemer sein konnte, um Erwähnung zu finden. Der Roman öffnet sich für die großen Fragen der Kunst, des Lebens und Sterbens ebenso wie für den ganz und gar unmeta-physischen Klatsch, Tratsch und das Rauschen alltäglicher Kleinigkeiten. Es ist die endlose Plauderei, die in Prousts Roman Regie führt.

Barbara Naumann: Barbara Naumann ist Professorin für deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Zürich seit 2000, zuvor in Hamburg, Habilitation am Peter-Szondi-Institut der FU Berlin mit einer Arbeit über Ernst Cassirer und Goethe; Arbeitsschwerpunkte u.a. die Beziehungen der Literatur zu Musik und bildender Kunst, Poetik des Romans; Veröffentlichung u.a. “Rhythmus. Spuren eines Wechselspiels in Künsten und Wissenschaft” (hg. 2005), “Bilder-Denken. Bildlichkeit und Argumentation” (hg. mit Edgar Pankow, 2004), Bildkritik im Roman” (2012), “Ein Unendliches in Bewegung. Das Ensemble der Künste im Wechselspiel” (hg. mit Margrit Wyder, 2012).