Humboldt University Mosse Lecture
On the Obsession with Defining Antisemitism: Why Do Jews Find It So Difficult to Talk about Antisemitism Today?
Magid Shaul (Cambridge, MA)
Senatssaal of Humboldt University
July 10, 2025 19:00 CET
With Stefanie Schüler-Springorum
Im Sommersemesters 2025 widmen sich die Mosse Lectures dem derzeit stark diskutierten Thema Zionismus. Angesichts der Intensität der jüngeren Debatten um den Nahostkonflikt ist es ein grundlegendes Anliegen der neuen Programmreihe, Aufklärung zu leisten und Einblicke in die Geschichte des Zionismus jenseits der Verengung des Begriffs auf das Projekt der Gründung eines jüdischen Nationalstaats und unter Einbeziehung palästinensischer Perspektiven zu bieten. Worum es gehen soll, ist eine Geschichte des Zionismus vor 1948, in der Perspektiven aus Philosophie, Jüdischen Studien und der Geschichtswissenschaft verdeutlichen, dass es »den« Zionismus nicht gab. Seine Geschichte ist vielstimmig, plural und umwegig. Sie lässt sich als Geschichte der »persönlichen und ideologischen Vielfalt« [Shlomo Avineri] einer nationalen
Bewegung verstehen, deren interne Spannungen die Vorgeschichte Israels charakterisieren. So eindeutig das zionistische Projekt am Ende des 19. Jahrhunderts mit dem doppelten Widerspruch gegen den Antisemitismus und die »Assimilationssucht«, mit Konzepten der »Selbstemanzipation« und »jüdischen Renaissance« einsetzte, so wenig selbstverständlich war die Form seiner politischen Realisierung. Zu den grundlegenden Herausforderungen der zionistischen Bewegung gehörte von Beginn an der innerjüdische Konflikt zwischen dem erklärten Ziel der Errichtung eines jüdischen Nationalstaates und den Traditionen des Judentums als »Volk im Exil«, den Hannah Arendt 1945 auf die Formulierung einer doppelten Loyalität brachte – und als unausweichliches Problem für das zionistische Projekt benannt hat. Über die Palästina-Frage hinaus war einer der Hauptschauplätze dieser Spannung seit dem frühen zwanzigsten Jahrhunder t die Diaspora in den Vereinigten Staaten, wo viele Jüdinnen und Juden dem Projekt der Staatsgründung und vor allem dem Gedanken einer Auswanderung in diesen Staat skeptisch gegenüberstanden und Begriffe wie »E xil« oder »Galut« positiv konnotiert
waren. Der Blick auf die Geschichte des Zionismus eröffnet eine Vielzahl von Erzählungen, Entwürfen und Einsprüchen, unter denen im frühen zwanzigsten Jahrhundert insbesondere der Kulturzionismus eine vitale Alternative zum Staatsgründungsprojekt war. Ziel der Reihe ist es, diese Vielfalt sichtbar zu machen.
Shaul Magid Judaist und Rabbi; lehrt Jüdische Studien an der Harvard Divinity School, er ist Senior Fellow am Center for the Study of World Religions [CSWR] der Harvard University sowie Rabbi der Fire Island Synagogue. Er ist Mitglied der American Academy for Jewish Research und der American Society for the Study of Religion. Zu seinen Forschungsinteressen gehören Jüdisches Denken, Kabbala, Chassidismus und amerikanisch-jüdische Kultur sowie Zionismus. 2023 erschien »The Necessity of Exile« bei Ayin Press, eine Sammlung von Essays über die jüdische Beziehung zu Zionismus und Exil.
Stefanie Schüler-Springorum Historikerin; Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin und Ko-Direktorin des Selma Stern Zentrums für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg und seit 30 Jahren in verschiedenen Funktionen Teil des Leo Baeck Instituts. Seit 2023 ist sie Mitglied im Beirat des New Israel Fund Deutschland, der Israelis und Palästinenser:innen fördert, die sich gemeinsam für eine demokratische, gleichberechtigte und friedliche Zukunft einsetzen. Ihre Forschungsschwerpunkte gelten der deutsch-jüdischen Geschichte, der Geschichte des Nationalsozialismus, der Historiographie und Erinnerung nach 1945 sowie der Antisemitismusforschung.